"Noch sitzt ihr da oben, ihr feigen Gestalten,
vom Feinde bezahlt und dem Volke zum Spott.
Doch einst wird wieder Gerechtigkeit walten,
dann richtet das Volk und es gnade euch Gott."

Carl Theodor Körner

Freiheitsrechte vs. Gesundheitsschutz - Gibt es eine Rechtfertigung für Demoverbote & Polizeigewalt?

Um die Grundrechte der Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit, Freiheit der Person und Freizügigkeit einschränken zu dürfen, wird von der Politik ein Grundrechtskonflikt behauptet. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit wird angeblich durch die Möglichkeit von Infektionen bei Menschenansammlungen verletzt. Dieses Recht steht höher als das Recht, öffentlich seine Meinung kundzutun, weshalb es jenem übergeordnet werden muß. Aber das ist falsch. Es geht nicht um körperliche Unversehrtheit, denn die Verletzung derselben wäre eine Körperverletzung. Die nur möglicherweise stattfindende Infektion mit einer übertragbaren Krankheit, die 99,9% der Menschen überleben und die bei 80% der Infizierten keine oder kaum Symptome verursacht, ist aber keine Körperverletzung. Zwar ist auch der Fall vorstellbar, daß ein mit einer übertragbaren Krankheit Infizierter vorsätzlich und gezielt andere infiziert, um ihnen Schaden zuzufügen, aber das prinzipielle Ansteckungsrisiko im Alltag gehört zu den gesundheitlichen Risiken, die das Leben mit sich bringt.

Wenn im Fußballspiel Fouls begangen werden, dann wird das mit einer gelben oder roten Karte geahndet. Der mit Absicht und klarem Motiv foulende Spieler wird nicht von der Polizei verhaftet und wegen vorsätzlicher Körperverletzung vor Gericht gestellt. Wenn im Stadion jedoch ein Zuschauer leicht erkältet ist und durch diversen Körperkontakt während des Spiels andere anstecken könnte, dann soll das nach aktueller Politik der Regierung eine Körperverletzung sein, die um jeden Preis und unter Einschränkung sämtlicher Grundrechte verhindert werden muß.

Hier wird das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit mit dem allgemeinen Schutz der Gesundheit überhaupt verwechselt. Umfassender Gesundheitsschutz ist aber weder ein Grundrecht noch Aufgabe des Staats in einer freiheitlichen Gesellschaft. Jeder hat das Recht, durch Verwirklichung seiner Grundrechte gesundheitliche Risiken inkauf zu nehmen, z.B. indem er am Straßenverkehr teilnimmt, bestimmte Sportarten betreibt, ungeschützten Sex mit wem auch immer hat, raucht, Alkohol trinkt oder 25 Stunden pro Tag arbeitet.

Das InfschG ist wie das Strafgesetz ein einzelfall- und täterorientiertes Gesetz, nach dem für einzelne, klar definierte Fälle bestimmte verfassungsmäßig garantierte Grundrechte eingeschränkt oder ausgesetzt werden dürfen. Das setzt für jeden einzelnen Bürger den behördlichen Nachweis voraus, daß er tatsächlich ein Fall im Sinne des Gesetzes, also ein Gefährder ist, der die Grundrechte anderer Menschen verletzt. Nicht der Bürger hat die Pflicht, immer und ständig oder für bestimmte Situationen, wie z.B. Demonstrationen zu beweisen, daß von ihm keine Gefährdung anderer ausgeht, sondern der Staat muß nachweisen, daß von Demonstrationen eine tatsächliche Gesundheitsgefährdung für klar definierte Personen ausgeht. Er hatte dazu mehr als ein Jahr Zeit, aber er kann weder angeben, wer genau durch Demonstrationen gesundheitlich gefährdet ist, noch beweisen, daß überhaupt Infektionen bei Versammlungen symptomloser und gesunder Menschen stattfinden. Die bloße Behauptung, daß es übertragbare Krankheiten gibt – und nichts anderes bleibt bei der Argumentation übrig, ist kein Beweis für den Zusammenhang zwischen Demonstration und gesundheitlicher Gefährdung bestimmter Personen.

Da es aber gar kein Grundrecht auf umfänglichen Schutz der Gesundheit allgemein und daraus folgend keine staatliche Pflicht zur Beseitigung sämtlicher Gesundheitsgefährdungen inkl. der durch saisonale Infektionen gibt, gibt’s auch keinen Grundrechtskonflikt, mithin keine Rechtfertigung, Demonstrationen mit Hinweis auf Grundrechtkonflikte zu verbieten. Es gibt auf der einen Seite nur den Schutz vor alltäglichen Infektionen, den jeder selber besorgen kann, und auf der anderen die unveräußerlichen und bedingungslos garantierten Grundrechte, zu denen auch die Versammlungsfreiheit gehört. Es sollte jedem Polizeibeamten vom obersten Einsatzplaner am Schreibtisch bis zum Polizeiazubi auf der Straße klar sein, daß er Befehle erteilt und ausführt, die nicht nur unverhältnismäßig sind, sondern illegal und unrechtmäßig und für die er persönlich haftet, sofern er nicht remonstriert hat. Es gibt keine Gesetze und Verordnungen, die über dem Grundgesetz stehen. Es gibt keinen Grundrechtskonflikt und demnach auch keine legale Grundlage für strafrechtliches und polizeiliches Vorgehen gegen friedliche Demonstranten.



AP, 23.5.2021