"Noch sitzt ihr da oben, ihr feigen Gestalten,
vom Feinde bezahlt und dem Volke zum Spott.
Doch einst wird wieder Gerechtigkeit walten,
dann richtet das Volk und es gnade euch Gott."

Carl Theodor Körner

Sicherheitslücken und Behördenversagen beim Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt.

Um zu klären, ob es sich beim Täter des Anschlags um einen wirren Einzeltäter handelt, müssen zwei Fragen beantwortet werden: 1. Nach dem Motiv der Tat, das weiterhin unklar ist. Sicher ist nur, daß das Motiv eine Verbindung zur Tat und den Opfern derselben haben muß. Weder ein eventueller Islamhaß noch eine eventuelle AFD Sympathie haben irgendwas mit einem Terroranschlag auf unschuldige Menschen auf einem traditionellen, deutschen, christlichen Weihnachtsmarkt zu tun. Aus beidem ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte für das Tatmotiv.

Die zweite Frage ist, wie konnte der Täter sicherstellen, daß er überhaupt barrierefrei auf den Markt fahren konnte? Man kann ja so einen Anschlag nicht durchplanen und alles dafür organisieren, fährt dann zum Weihnachtsmarkt und stellt fest, daß man weder ihn noch alle anderen in Deutschland befahren kann. Wir sind ja nicht mehr 2014. Seitdem sollte man davon ausgehen können, daß Weihnachtsmärkte rundum mit Betonklötzen verbarrikadiert und auch die Rettungswege für Krankenwagen durch mobile Hindernisse wie Streifenwagen der Polizei blockiert sind. Es sollte gar nicht mehr möglich sein, mit einem Fahrzeug einfach so mitten ins Herz eines Weihnachtsmarkts zu fahren. Jeder Planung eines Anschlags muß also das Wissen vorhergehen, daß es eine barrierefreie Zufahrt gibt. Ist die nirgends mehr möglich, was ja angeblich dem allgemeinen Sicherheitskonzept entspricht, braucht man mit der Planung gar nicht erst anfangen.

Was hätte ein Einzeltäter in vielleicht wochenlanger Beobachtung erfahren können? Entweder die Einsatzwagen der Polizei standen nie vor den Zufahrten zum Weihnachtsmarkt, wo sie immer und dauerhaft hätten stehen müssen, die Zufahrten waren also grundsätzlich immer offen. Oder sie waren meist blockiert, aber regelmäßig zu immer denselben Zeiten offen, z.B. jeden Freitag Abend. Oder sie waren nur kurzzeitig beim Wachwechsel der Polizeistreifen offen, wenn eine Schicht wegfuhr und die nächste den Platz besetzte. In diesem Fall kann der Täter sich kaum darauf verlassen, daß das Zeitfenster groß genug ist und er quasi mit laufendem Motor vor der Einfahrt stehend auf die Gelegenheit warten kann.

Das wirft zusätzlich die Frage auf, ob er zuerst die Idee des Anschlags entwickelte und dann deutschlandweit nach Weihnachtsmärkten suchte, die ständig oder zu bestimmten Zeiten eine freie Zufahrt haben. Oder ob er zufällig die freie Zufahrt in Magdeburg entdeckte und erst durch diese Gelegenheit auf die Idee mit dem Anschlag kam.

War der Markt aber nur hin und wieder zu unregelmäßigen Zeiten zugänglich, hätte er den Zeitpunkt vorher weder wissen noch damit rechnen, mithin den Anschlag als Einzeltäter gar nicht planen können. War die Zufahrt zum Weihnachtsmarkt überhaupt nur einmal genau zur Tatzeit offen, muß man eine tiefere Koordination und die Beteiligung von Mittätern oder Diensten annehmen, denn diese Bedingung liegt außerhalb dessen, was ein Einzeltäter wissen oder kontrollieren kann.

Daß die Behörden den Täter auf dem Schirm hatten, aber nicht ernst nahmen, nachdem er quasi über Jahrzehnte ständig Drohungen aussprach, aber nie umsetzte, daß die Gefahr, die von ihm ausging deshalb unterschätzt wurde, ist zum Teil verständlich. Daß die Beamten am Weihnachtsmarkteingang ihre einzige und singuläre Aufgabe, die Zufahrt wirksam zu blockieren, nicht erfüllten, ist überhaupt nicht verständlich und muß als erstes aufgeklärt werden. Denn trotz allem Behördenversagen im Vorfeld hätte das letzte Glied der Kette, der korrekt vor der Einfahrt stehende Streifenwagen den Anschlag verhindern können. Entscheidend dafür, daß er gelingen und vor allem auch geplant werden konnte, ist entweder das dauerhafte oder regelmäßige Versagen des letzten Glieds in der Kette oder eine Abstimmung mit demselben, die nicht mehr mit der Theorie eines Einzeltäters vereinbar ist. Die entscheidende Frage ist also, wieso stand der Streifenwagen nicht in der Einfahrt und wie konnte der Täter das einplanen?


AP, 6.1.2025