"Noch sitzt ihr da oben, ihr feigen Gestalten,
vom Feinde bezahlt und dem Volke zum Spott.
Doch einst wird wieder Gerechtigkeit walten,
dann richtet das Volk und es gnade euch Gott."

Carl Theodor Körner

Beitragsverweigerungsservice als Form des Widerstands gegen das System der Unfreiheit

Wir bewegen uns beschleunigt vom Ausnahmezustand in die neue Normalität. Wird Zeit für einen breiten Widerstand, aber wo und wie? Neben der Möglichkeit, sich nicht freiwillig impfen zu lassen, ist eine weitere den Rundfunkbeitrag zu verweigern, und zwar nicht durch kommentarlose Einstellung der Zahlungen, sondern durch einen Härtefallantrag bei der Rundfunkanstalt. Im besten Fall geht man den Weg bis zur Klage, so daß einige Jahre vergehen, bis irgendwas entschieden wird. Machten das fünf Millionen Haushalte, fehlte dem ÖRR mehr als eine Milliarde Euro pro Jahr.

Der Härtefallantrag gründet sich auf §4, Abs.6 Rundfunkbeitragsstaatsvertrag: „Unbeschadet der Beitragsbefreiung nach Absatz 1 hat die Landesrundfunkanstalt in besonderen Härtefällen auf gesonderten Antrag von der Beitragspflicht zu befreien.“ Worin ein Härtefall neben der ökonomischen Situation noch bestehen kann, erklärt das Bundesverfassungsgericht im Beschluß 1 BvR 2550/12 vom 12.12.2012: "Es ist jedenfalls auch nicht von vornherein ausgeschlossen, daß der Beschwerdeführer mit einem solchen Härtefallantrag, bei dem er seine religiöse Einstellung und seine gesamten Lebensumstände darlegen könnte, eine Beitragsbefreiung erreichen kann.“ Hier stellt sich sofort die Frage, welche Mitarbeiter in den Landesrundfunkanstalten überhaupt die Fähigkeiten und Qualifikationen haben, Härtefälle erkennen, religiöse Einstellungen und Lebensumstände von anderen Menschen beurteilen zu können. Macht das der Intendant selber, seine Sekretärin oder ein Praktikant nach dem Kaffeekochen? Der Gesetzgeber fordert nirgends die Einrichtung einer besonderen oder gar unabhängigen Kommission, die aus entsprechend ausgebildeten Experten besteht, denen eine solche Entscheidung überhaupt zuzutrauen ist. Er überfordert einerseits die Mitarbeiter der Rundfunkanstalten und schafft andererseits einen Interessenkonflikt, den wir in keinem anderen Bereich akzeptieren würden. Diejenigen, die von den Beiträgen profitieren und zudem eine riesige Deckungslücke zwischen zu erwartenden Einnahmen und vertraglich zugesicherten Ausgaben, vor allem für Gehälter und Pensionen der Mitarbeiter haben, sollen ein Urteil darüber fällen, ob jemand vom Rundfunkbeitrag befreit werden muß. Das ist genauso, als hätte früher über den Antrag auf Wehrdienstverweigerung eine Dienststelle der Bundeswehr entschieden, die ausschließlich aus aktiven Berufssoldaten besteht.  

Um nachvollziehen zu können, daß das nicht unserem Rechtsverständnis entspricht, muß man sich zunächst erinnern, wie es bis 2012 war. Bis 2012 konnte jeder durch die bloße Willensbekundung wie beim Austritt aus der Kirche legal seine Finanzierung des ÖRR beenden. Dazu mußte man nur zum Einwohnermeldeamt gehen und ein dafür bestimmtes Formular ausfüllen, um seine Geräte abzumelden. Das war ein simpler Verwaltungsakt, bei dem man weder Gründe angeben, noch sich sonstwie rechtfertigen und erklären mußte oder von Seiten des Amts oder einer anderen Kommission geprüft und beurteilt wurde. Die Beweislast lag bei der GEZ, die nachweisen mußte, daß jemand trotz Abmeldung Rundfunkgeräte betrieb und so vorsätzlich Schwarzseher, also Betrüger war. Die damalige Reglung war nicht Ausdruck einer besonderen Großzügigkeit des Gesetzgebers, sondern entsprach unserer verfassungsmäßigen Ordnung und dem damaligen Rechtsverständnis. Wegen der Unschuldsvermutung hatte der Bürger keine Bringschuld, er mußte nicht beweisen, daß er sich rechtmäßig verhält, sondern der Staat mußte ihm nachweisen, daß er betrügerisch handelt und deshalb Beitragsschuldner ist. Vor 2013 gab es überhaupt nicht die Möglichkeit, per se Beitragsschuldner zu sein. Die verfassungsmäßige Ordnung hat sich nicht geändert. Beim Rundfunkbeitrag wurde unser Rechtssystem auf den Kopf gestellt. Jetzt gibts keine Unschuldsvermutung mehr, sondern die pauschale und alternativlose Vorverurteilung, daß jeder Beitragsschuldner ist, wenn er nur einen Wohnsitz hat. Die Rundfunkanstalten sind dabei Kläger und Richter in einem.

2013 wurde die Gebühr in einen Beitrag umgewandelt. Einen Beitrag zahlt man für die Teilnahme an einer für Mitglieder bestehenden Einrichtung. Der ÖRR behauptet nun, daß jeder Haushalt am ÖRR teilnimmt und deshalb auch jeder Haushalt den Beitrag zahlen muß. Diese Behauptung ist noch nie bewiesen worden, wird aber trotzdem auch vom Bundesverfassungsgericht akzeptiert. Dabei widerspricht ihr der ÖRR selbst, indem er Influenzer der Mediengruppe Funk bezahlt, die nicht im ÖRR, sondern auf Plattformen u.s. amerikanischer Techkonzerne Medienprodukte für die Zielgruppe der unter 30 Jährigen anbieten, die gar kein lineares Fernsehen mehr schauen. Anstatt also eigene Formate zu entwickeln, die Jugendliche ansprechen und zum ÖRR ziehen, muß er selbst dorthin gehen, wo die Jugendlichen sind, zu Youtube, weil er sie gar nicht mehr anders erreichen kann. Trotzdem dient die Behauptung, alle wären Konsumenten des ÖRR, als Rechtfertigung dafür, eine Minderheit gegen ihren Willen dazu zwingen zu dürfen. Aber es ist gar keine Frage der Mehrheitsverhältnisse, sondern eine prinzipielle unserer verfassungsmäßigen Ordnung, wo und gegen wen Zwang überhaupt erlaubt ist. Demokratie bedeutet nicht Herrschaft der Mehrheit über die Minderheit; nur die Entscheidungsprozesse erfolgen nach Mehrheitsbeschluß. Das Zusammenleben, die Umgangsweise der Menschen miteinander und staatlicher Institutionen mit den Menschen regeln die verfassungsmäßige Ordnung und das Sittengesetz. Selbst wenn es dazu eine Volksabstimmung gäbe und 90% aller Bürger den ÖRR genauso haben wollten, wie er jetzt ist, ergäbe sich daraus kein Recht, die anderen 10% zwingen zu dürfen. Es ist weder legitim noch verhältnismäßig, für die Steigerung der Einnahmen um 10 oder gar nur um 1% Zwangsmaßnahmen anzuwenden und die Grundrechte von Menschen zu verletzen.

In der Reglung, die bis 2012 galt, kam die Achtung des Staates vor der verfassungsmäßig garantierten Freiheit des Einzelnen zum Ausdruck. Immernoch ist die Würde des Einzelnen, und die äußert sich in seiner Freiheit, das höchste Gut. Zwang ist die schärfste Einschränkung der individuellen Freiheit und nach unserem Rechts- und Moralverständnis nur legitim, wenn Freiheit, Würde, körperliche Unversehrtheit oder weitere Grundrechte von anderen natürlichen Personen bedroht sind. Einerseits sind die Rundfunkanstalten aber Körperschaften und haben gar keinen Anspruch auf Würde wie jeder natürliche Mensch. Andererseits werden niemandes Grundrechte verletzt, wenn einzelne keinen Rundfunkbeitrag bezahlen. Weder der generelle Bestand des ÖRR noch die Maximierung seiner Einnahmen sind Grundrechte oder liegen auch nur auf der Ebene von Grundrechten. Die Freiheit der Person und das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit werden aber spätestens dann verletzt, wenn irgendwelche Zwangsmaßnahmen gegen Menschen exekutiert werden, die von eben dieser Freiheit Gebrauch machen, ohne daß die Rechte anderer verletzt, gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstoßen wird. Meiner Meinung nach widersprechen aber nicht erst Kontopfändung und Beugungshaft für Leute, die den ÖRR nicht konsumieren wollen, unserem Rechtsverständnis, sondern schon die alternativlose Konstruktion des Rundfunkbeitrags. Die Freiheit, die bis 2012 und selbst im Dritten Reich und der DDR existierte, wurde 2013 abgeschafft. Seitdem sind Würde und Freiheit nur so lange garantiert, wie man bezahlt. Das ist aber genauso bei der Schutzgelderpressung und hat mit unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung nichts zu tun.

Das Bundesverfassungsgericht hat zwar entschieden, daß es legitim ist, jedem Haushalt eine Rechnung zu schicken, es hat jedoch nicht entschieden, daß es legitim ist, Zwangsmaßnahmen gegen einzelne zu exekutieren, die den ÖRR erklärtermaßen nicht konsumieren wollen. Oft kommt der Einwand, daß auch bei Ordnungswidrigkeiten mit einem kleinen dreistelligen Bußgeld Zwangsmaßnahmen wie Kontopfändung und Beugungshaft vollstreckt werden können. Aber da gibt es wesentliche Unterschiede: Alle Gesetze und Verordnungen sollen das Zusammenleben der Menschen auf Grundlage der verfassungsmäßigen Ordnung, unserer Vorstellungen von Recht und Moral regeln. Das GG ist durch und durch von einem Kantischen Geist geprägt: Freiheit gibt es nur unter dem Gesetz, Gesetze sind dazu da, die Freiheit des Einzelnen zu verwirklichen. Sie findet ihre Grenzen nur dort, wo Rechte anderer verletzt, gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstoßen wird. Deshalb wird für jede Verordnung wenigstens behauptet, daß sie Konflikte zwischen Grundrechten regelt und diese gegeneinander abwägt. Geschwindigkeitsbegrenzung an der Schule schränkt die Freiheit der Autofahrer ein, um die körperliche Unversehrtheit der Schulkinder besser zu schützen. Wie oben ausgeführt werden aber keine Grundrechte irgendwelcher Menschen verletzt, wenn einzelne den Rundfunkbeitrag nicht bezahlen. Spätestens aber wenn Zwangsmaßnahmen gegen Beitragsschuldner exekutiert werden, gibt der Staat den Schutz der Würde des Menschen zugusten von Gütern auf, die in keiner Weise Grundrechte sind. Ordnungswidrigkeiten bieten immer die Möglichkeit, nicht gegen sie zu verstoßen. Wie absurd oder verfassungswidrig sie auch sind, man kann sich immer frei entscheiden, keine Ordnungswidrigkeit zu begehen. Beim Rundfunkbeitrag gibt es diese Entscheidungsfreiheit nicht. Beitragsschuldner wird man einfach dadurch, daß man ein normales Lebt führt und einen Wohnsitz hat. Dem Delinquenten der Ordnungswidrigkeit kann man immer entgegenhalten, er hätte sich ja anders verhalten können. Dem Beitragsschuldner kann man das nicht vorwerfen.

Die Freiheit des Menschen ist essenziell für unsere verfassungsmäßige, freiheitlich-demokratische Grundordnung. Der ÖRR ist keine Einrichtung, die irgendwelche Einschränkungen und Beschneidungen von grundgesetzlich garantierten Freiheiten für irgendeinen Bürger rechtfertigt. Eigentlich müßte das Verfassungsgericht feststellen, daß die heutige Struktur des ÖRR Konflikte mit Grundrechten wie der Freiheit der Person und der Gewissensfreiheit hervorruft wie einst die Wehrpflicht und der Gesetzgeber die Rundfunkstaatsverträge so zu ändern hat, daß diese Konflikte vermieden werden. Mindestens aber müßte es entscheiden, daß jegliche Zwangsmaßnahmen gegen Beitragsverweigerer deren Menschenwürde verletzten und deshalb nicht durchgeführt werden dürfen. Um hierfür den politischen Willen zu schaffen, ist der massenhafte Entzug der Finanzierung durch Härtefallanträge ein für jeden gangbarer Weg.



AP, 21.3.2021