"Noch sitzt ihr da oben, ihr feigen Gestalten,
vom Feinde bezahlt und dem Volke zum Spott.
Doch einst wird wieder Gerechtigkeit walten,
dann richtet das Volk und es gnade euch Gott."

Carl Theodor Körner
Rechts und Links

Keine Spaltung durchzieht unsere Gesellschaft so stark wie die zwischen rechts und links. Dabei sind die Positionen wie alle politischen Schlagworte und Propagandabegriffe nur schwammig oder gar nicht definiert bzw. spielt eine distinkte Definition im alltäglichen politischen Geschehen keine Rolle, weil es nur um die Spaltung der Menschen geht. Wer links ist, verbindet damit Werte wie „Gerechtigkeit, Ungleichheit abschaffen, Armut beheben, solidarisch sein“ (Jorge Jurado bei KenFM) und glaubt offenbar, daß ein Rechter sich genau davon distanzieren würde, daß der Rechte also für Ungerechtigkeit, Ungleichheit, Armut und grenzenlosen Egoismus ist. Und so hat jeder eine diffuse, mehr emotionale als sachliche und klare Vorstellung davon, wofür er selbst stehen will und wofür die Anderen, mit denen man sich deshalb auch nicht inhaltlich auseinandersetzen muß, stehen. Das ist nicht zufällig so, sondern im Teile-und-Herrsche-Spiel gewollt.

Traditionell stammen die Begriffe als politische Verortung aus den Zeiten der französischen Revolutionen und leiten sich von der Sitzordnung im Parlament ab. Dabei stand die klassische Linke für die Werte der Aufklärung. Dazu gehören die größtmögliche individuelle Freiheit und die politische Selbstbestimmung aller Menschen eines Volkes als Subjekt des Staates im Gegensatz zum Ancien Régime, in dem der oberste Monarch der Staat war (l´état c´est moi) und die Menschen unfreie Untertanen, die weder über ihren persönlichen Werdegang noch über die gesellschaftliche Ordnung, in der sie lebten, bestimmen konnten.

Ich sehe die bürgerliche und politische Freiheit als den Fokus der Aufklärung an. Aus ihr folgt die Forderung nach Gleichheit, die nicht bedeutet, daß alle Menschen substanziell gleich wären oder sein sollen, sondern moralisch, daß jeder Mensch Adressat moralischen Handelns durch alle anderen ist unabhängig von seiner religiösen Zugehörigkeit, ethnischen Abstammung, Nationalität, von seiner politischen Überzeugung und weltanschaulichen Auffassung. Dem Geist der Aufklärung und Forderung nach der größtmöglichen individuellen Freiheit folgend wurden die Eigenschaften, von denen die Behandlung eines Menschen unabhängig sein soll, weiter ergänzt um die gesellschaftlichen Stellung und das Vermögen, das Geschlecht und die sexuelle Orientierung. Jeder soll sein, soll leben, glücklich werden können als das, was er ist, was er sein und woran er glauben will. Darin besteht die Würde des Menschen und der emanzipatorische Anspruch der Aufklärung. Dieser ging es nicht primär um Wohlfahrt des Menschen, denn die Leibeigenen und Knechte waren materiell ja versorgt, es ging um Freiheit und Selbstbestimmung des einzelnen und aller Menschen einer Gemeinschaft als Volk, was in der Forderung nach Brüderlichkeit – heute würde man sagen Solidarität - zum Ausdruck kommt. Jeder Mensch soll tun können, was er will, solange er einem anderen nicht schadet oder gegen das Sittengesetzt, d.h. den kategorischen Imperativ Kants verstößt.

Als klassisch rechts galt demnach die politische Überzeugung, die zurück zum Ancien Régime wollte, also reaktionär war. Die feudale Gesellschaftsordnung war geprägt durch eine klar definierte vertikale Ordnung, in der jeder Mensch seine Existenz zwischen Obrigkeit und Untertanen und die dieser entsprechende Freiheit hatte. Die Ordnung galt als natur- oder gottgegeben, moralische Ansprüche, individuelle und politische Freiheit des Menschen sowie seine Würde richteten sich nach dem seiner Herkunft entsprechenden sozialen Stand. Diese Ordnung und die hinter ihr stehende Gesinnung etabliert und rechtfertigt Herrschaft im Gegensatz zu Freiheit als der zentralen Forderung der traditionell Linken.

Bis heute wird unter links eine emanzipatorische Gesinnung verstanden, die Werte der Aufklärung zu realisieren und ihnen widersprechende gesellschaftliche Ordnungen zu verändern, Herrschaftsstrukturen zu erkennen und mehr Freiheit zu schaffen. Der geschichtliche Prozeß der Aufklärung besteht darin, immer wieder Strukturen von Unfreiheit, illegitimer Macht und Herrschaft zu erkennen, zu kritisieren und im Geiste der Freiheit und Würde des Menschen aufzulösen, d.h. die soziale Ordnung dem Wesen des Menschen anzupassen. Auf dieser Grundlage müssen auch im heutigen politischen Geschehen links und rechts definiert werden, anhand der Dichotomie zwischen Herrschaft und Freiheit, reaktionärem und emanzipatorischem Anspruch, zwischen Ideologie und Vernunft, weil zwar Herrschaft nicht notwendig mit Ideologie, diese aber immer mit dem Anspruch an Herrschaft verbunden ist.

Freiheit und Würde des Menschen herstellen bedeutet, dafür zu sorgen, daß ein Mensch sein kann, was er ist und sein will, und tun kann, was er will, solange er einem anderen nicht schadet. Die Würde hat also etwas mit dem Wesen des Menschen und seinen individuellen und konkreten Eigenschaften zu tun. Sie besteht in dem, was angeboren und unveränderlich ist wie Hautfarbe, Geschlecht, sexuelle Orientierung, in dem, was anerzogen und sozialisiert ist wie Sprache und kulturelle Prägung, und in dem, was selbst gewählt ist wie religiöse und politische Überzeugung. Alles, womit sich ein Mensch identifiziert, was sein Wesen und seine Identität für ihn ausmachen, gehört zu seiner Würde, die zu achten dem fundamentalsten Grundsatz der Aufklärung entspricht. Persönliche Freiheit besteht darin, diese Identität zu leben, sich selbst zu verwirklichen (worin übrigens auch Glückseligkeit und der Sinn des Lebens liegt); politische Freiheit darin, die Würde aller Menschen zu respektieren. Die Würde besteht nicht nur in dem, was allen Menschen gemeinsam ist und worin alle gleich behandelt werden müssen, sondern auch aus individuellen Eigenschaften, denen zu entsprechen und die zu achten Gerechtigkeit ist, also jeden so zu behandeln, wie es ihm persönlich entspricht. Gleichheit ist nicht immer dasselbe wie Gerechtigkeit, sondern nur auf der moralischen Ebene. Eltern werden eben aus dem größten Wohlwollen heraus auch eineiige Zwillinge verschieden behandeln in dem, worin sie eben verschieden sind. Das trifft auf einzelne Menschen genauso zu wie auf Gemeinschaften und Völker, weshalb im Völkerrecht auch geregelt ist, daß jedes Volk es selbst sein und bleiben darf und sich frei selbst bestimmen können muß. Freiheit ist also Autonomie und verbunden mit der realen Fähigkeit dazu Souveränität.

Links und emanzipatorisch ist die Arbeit an einer gesellschaftlichen Ordnung, die dem Menschen die größtmögliche Freiheit gibt, indem er mündig und autonom nur unter den Regeln leben muß, die er sich selbst gegeben hat, und indem er seine Würde weitestgehend realisieren kann, weil er mit seiner ganze Identität moralischer Adressat ist. Links ist also die Realisierung der Werte der Aufklärung. In der historischen Entwicklung haben die politisch aktiven Linken erst die emanzipatorischen Interessen der bürgerlichen Kreise, dann als Sozialdemokratie die der werktätigen Klasse vertreten. Diese linke Gesinnung bezeichne ich als altlinks oder rotlinks, die beginnend ab Ende der 1920er Jahre mit der Frankfurter Schule von einer neulinken Gesinnung abgelöst wurde, die als Zielgruppe ihrer politischen Aktivität nicht mehr die arbeitende Klasse, sondern alle möglichen Minderheiten in der Gesellschaft betrachtet. In dieser Gesinnung ist eine Minderheit nur durch ihren Bestand Opfer und ihre absolute Gleichberechtigung mit der Mehrheit Zweck aller politischen Arbeit, während die Mehrheit nur durch ihr Vorhandensein den moralisch anrüchigen Charakter einer unterdrückenden Herrschaftsstruktur, eines Täters zugeschrieben bekommt und bekämpft werden muß. Diese neulinke Gesinnung manifestierte sich in der Frauenbewegung, in der sexuellen Revolution, der Gleichstellung der Homosexuellen und im Multikulturalismus und personell in etwa in der 68er Bewegung und den aus ihr hervorgegangenen Grünen, weshalb ich sie auch als grünlinke Gesinnung bezeichne. Dabei sind die ursprünglichen Intentionen zur Gleichberechtigung von Frauen, Homosexuellen und fremden Zuwanderern absolut berechtigt und entsprechen der Verwirklichung der Werte der Aufklärung, jedoch ist die Bewegung – unterwandert von subversiven Kräften politisch agierender Kreise der Mächtigsten und Reichsten der Welt – weit übers Ziel hinausgeschossen und zur Ideologie verkommen wie die Sozialdemokratie einst zum Kommunismus. Sie bekämpft heute Männer, klassische Familien, solidarische Gemeinschaften, Völker und Nationen als angeblich rechts und unterdrückerisch und dient damit der Polarisierung von Gruppen und dem Teile-und-Herrsche-Spiel und nicht der Emanzipation des einzelnen Menschen, damit dieser seine Identität frei leben kann.

Eine Nation ist nur die politische Verfaßtheit eines Volkes und dieses eine Gemeinschaft von Menschen, die wesentliche Eigenschaften gemeinsam haben wie Sprache, Kultur, Tradition, Vorfahren und meist auch Heimat. Die Kultur umfaßt dabei alle Werte, nach denen das Zusammenleben organisiert ist wie Anstand und Sitte, Moral- und Rechtsverständnis, Arbeits- und Lebensgewohnheiten, also alles, was der einzelne Mensch als zu seiner Identität und Würde gehörig betrachtet. Die Nation ist ein Produkt der emanzipatorischen Bewegung der Aufklärung, das Volk als politisches Subjekt zu etablieren, die Menschen politisch mündig und autonom zu machen. Der Nationalstaat ist bestimmt durch die soziale Ordnung der solidarischen Gemeinschaft der Menschen als Volk in ihrer territorialen Einheit, die für die Definition eines Volkes allein nicht nötig wäre. Seine Gestaltung als bürgerliche Republik mit demokratischer Organisation ist – zumindest als regulative Idee – die Verwirklichung der Freiheit, Mitbestimmung und Souveränität der Menschen. Eine oberhalb des Nationalstaats stehende Organisation, die dies leistet, gibt es (jedenfalls noch) nicht. Die Auflösung des Nationalstaats und die Verschiebung der politischen Macht der Menschen zu transnationalen, nicht mit einer Gemeinschaft verbundenen und aus ihr stammenden Institutionen bedeutet immer den Abbau von Demokratie, politischer Freiheit und Mitbestimmung der Menschen und die Errichtung von Herrschaftsstrukturen, unter denen die Menschen nur Untertanen sind.

Unterscheidet sich die traditionell und klassische rechte von der modernen und neurechten Gesinnung? Die Rechten nach der französischen Revolution wollten zurück zum Ancien Régime, den Sozialdemokraten im Bismarck’schen Reich standen die Nationalliberalen und Aristokraten gegenüber, die eine Partizipation der Werktätigen am politischen Geschehen verhindern wollten, die Nazis haben sich explizit gegen die Werte der Aufklärung abgegrenzt und in ihrer Rasse- und Gesellschaftsideologie klar gezeigt, daß sie den Menschen nur entsprechend bestimmter Eigenschaften Würde, Freiheit und moralischer Adressat zu sein gewähren. Eigentlich kann man in der klassisch rechten Gesinnung nicht von Würde des Menschen sprechen; der Mensch hat da keine Würde, sondern einen Wert, der sich Eigenschaften wie Abstammung, persönliche Leistung, religiöse oder politische Gesinnung usw. festmacht. Das rechte Denken besteht ja gerade darin, dem Menschen nicht als Menschen zum Adressaten moralischen Handelns aller anderen und unabhängig von konkreten Eigenschaften zu machen, sondern eine vertikale Ordnung, ein Kastenwesen zu etablieren, das jedem Menschen seinen gesellschaftlichen Platz, seine Stellung zuschreibt.

In Deutschland und Europa heute gibt es bestimmt noch einzelne Neonazis und echte Rassisten, die diese rechte Gesinnung pflegen, die meisten Menschen jedoch lehnen vertikale und Herrschaftsstrukturen ab und stehen auf dem Fundament der Werte der Aufklärung. Die meisten derjenigen, die heute inflationär als „rechts“ und „rechtspopulistisch“ bezeichnet werden, unterscheiden die Menschen nicht hinsichtlich ihrer Würde, Adressat moralischer Handlungen zu sein, sondern hinsichtlich der Verteilung von materiellen Gütern und Wohlstand. Sie vertreten die Auffassung, daß jeder frei darüber verfügen können soll, was er erarbeitet hat oder was ihm gehört, und zwar sowohl jeder einzelne als auch eine ganze Gesellschaft. Dies entspricht auch der Forderung der klassischen Sozialdemokratie, daß dem Werktätigen die Früchte seiner Arbeit zustehen und nicht der Mehrwert daraus von anderen angeeignet, der Arbeiter damit enteignet wird. Eigentum ist nicht unmoralisch oder verwerflich, sein Besitz und Gebrauch darf nur andere nicht in ihrer Freiheit und Souveränität einschränken. Dieses Denken ist aber nicht rechts, sondern natürlich. Jeder sorgt sich mehr um seine eigenen Kinder als um die des Nachbarn oder Kinder am anderen Ende der Welt. Solidarität hat immer etwas mit Gemeinschaft zu tun, ist am größten denjenigen gegenüber, die einem am nahesten stehen, mit denen man am stärksten verbunden ist. Die kleinste, älteste und natürlichste Gemeinschaft ist die Familie. Dieses Denken ist natürlich und auch anderen, wahrscheinlich sogar allen Lebewesen gemeinsam. Die Solidarität erstreckt sich abnehmend auf immer größere Gemeinschaften wie die persönlichen Bekannten, die Region, Nation, den Sprach- und Kulturkreis, die Interkulturelle und Weltgemeinschaft und sogar auf andere Lebewesen, denen wir eine Art Würde zusprechen und selbst Nutztieren einräumen sollten.

In der Tat entspricht es dem Geiste der Aufklärung, den solidarischen Gedanken, daß zur Freiheit und zum Leben in Würde materieller Wohlstand und Sicherheit erforderlich sind, auf jeden Menschen weltweit auszudehnen, alle Menschen nicht nur als moralische Adressaten, sondern auch als Teilhaber am allgemeinen Wohlstand anzusehen, damit dem moralischen Anspruch real entsprochen werden kann. In der traditionellen Sozialdemokratie ging es aber nicht darum, den gesamten gesellschaftlichen Reichtum so umzuverteilen, daß jeder das gleiche bekommt – der Kommunismus ist eine politische Ideologie und folgt nicht notwendig aus den Werten der Aufklärung – sondern die arbeitenden Klassen an dem Reichtum teilhaben zu lassen, den sie selbst erwirtschaftet haben (während die heutige Sozialdemokratie die Banken und das Großkapital immer mehr an dem teilhaben läßt, was die Werktätigen erwirtschaften, und damit ein konterrevolutionäres Programm bedient, das alles andere als emanzipatorisch, befreiend und der Würde der Menschen entsprechend ist).

Dieser Gedanke der Ausweitung der Solidargemeinschaft auf die ganze Welt ist aber nur eine regulative Idee, die in der Weltgeschichte fortschreitend umzusetzen allen geboten ist, die hinter den Werten der Aufklärung stehen. Die regulativen Ideen können real nur soweit umgesetzt werden, wie sie Freiheit, Selbstbestimmung und Identität der Menschen nicht beeinträchtigen, sie müssen sich in einem offenen Diskurs und natürlichen Fortschritt realisieren. Wer sie als Utopie mit normativer Verbindlichkeit und Maßstab für jedes moralische Handeln aktuell ansieht, macht daraus eine Ideologie und versucht Herrschaftsformen zu errichten, indem die Menschen nach einer bestimmten Idee geformt werden sollen, die ihnen nicht oder noch nicht entspricht. Es gehört zum emanzipatorischen Denken, gesellschaftliche Entwicklungen immer an den regulativen Ideen zu messen, ob sie denn in die richtige Richtung laufen; das revolutionäre Denken aber, alle bestehenden gesellschaftlichen Strukturen unabhängig davon, wie sehr sie den Menschen aktuell entsprechen, zu bekämpfen, zu überwinden und zu zerstören, solange sie mit der Utopie noch nicht deckungsgleich sind, ist eine Ideologie und wie jede Ideologie Bevormundung, Zwang und Heteronomie.  

Gemeinschaften sind faktische und historisch gewachsene Gegebenheiten und gehören damit zur Identität der Menschen, mithin zur Würde. Wer Menschen in moralischer Hinsicht ungleich behandelt, Freiheit, Selbstbestimmung und Identität eines Menschen nicht achtet, ist rechts im klassischen Sinn. Den sollte man reaktionär nennen, nicht weil er ein bestimmtes historisches Herrschaftsverhältnis wieder haben will, sondern Herrschaftsverhältnisse überhaupt. Wer jeden Menschen moralisch gleich, aber in Hinsicht auf Solidarität verschieden behandelt, ist nicht rechts im klassischen und traditionellen Sinn. Die meisten Menschen, politischen Bewegungen und Parteien heute in Deutschland und Europa sind nicht klassisch rechts, weil sie auf dem Fundament der Werte der Aufklärung stehen. Sie sind alle eigentlich klassisch links und unterschieden sich nur in der Frage der Verteilung von Wohlstand, also in der Frage nach der Solidarität und dem Umfang der Gemeinschaft, die daran teilhaben soll. Hier unterscheide ich drei Strömungen: was wir im alltäglichen, politischen Geschehen links nennen, ist sozialistisch, was rechts, ist libertär oder konservativ. In diesem Verständnis sind libertär und konservativ nicht reaktionär, solange sie das Fundament der Aufklärung und den Anspruch an die moralische Gleichheit aller Menschen nicht verlassen. Die große Spaltung, die unsere Gesellschaft durchzieht und den täglichen politischen Diskurs prägt, ist aber die zwischen diesen drei Strömungen, die eigentlich alle auf demselben Fundament stehen, dieselben Werte teilen und in den weitgehend gleichen sozialen Ordnungen leben möchten. Die Werte, die alle gemeinsam haben, sind viel größer und fundamentaler als die Fragen, in denen sie sich unterscheiden und über die ein offener Diskurs geführt werden müßte.

Die freiheitliche, die also auf den Werten der Aufklärung stehende, klassisch linke Gesellschaft, muß wehrhaft sein und sich gegen reaktionäre Bestrebungen verteidigen können. Toleranz und Offenheit gegenüber konterrevolutionären und antiaufklärerischen Bestrebungen sind falsch und gefährlich. Dazu muß aber verstanden werden, wer auf der anderen Seite steht, wer die emanzipatorische und freiheitliche Gesellschaft überhaupt bedroht. Wenn man heute in Deutschland und Europa eine politische Strömung sucht, die wirklich im klassischen Sinn rechts ist, hierarchisch strukturiert, Freiheit, Identität, Würde nicht der Selbstbestimmung des Menschen überläßt, sondern aus einer totalitären, d.h. die gesamte gesellschaftliche und soziale Ordnung prägenden Ideologie ableitet, und die nicht in einzelnen verworrenen Köpfen schwirrt, sondern gut organisiert und millionenstark ist, dann kann man die beispielhaft im Islam finden. An ihm kann man in geradezu idealtypischer Weise die klassische Definition verifizieren, denn in dieser theistischen Ideologie werden die Menschen eben nicht moralisch gleich unabhängig von sämtlichen persönlichen Eigenschaften behandelt, sondern je nach Eigenschaft völlig verschieden, je nachdem ob ein Mensch eine Frau ist, homosexuell, Atheist, säkularisiert, andersgläubig oder nur einen anderen Auslegung folgend.

Es entspricht nicht dem Anspruch und Geist der Aufklärung, missionierend und Demokratie exportierend durch die Welt zu ziehen und andere Menschen und Völker zu zwingen, entgegen ihrer Identität, Kultur und Selbstbestimmung unsere Werte zu übernehmen und ihre gesellschaftliche Ordnung nach ihnen auszurichten. Der westliche Imperialismus, der heute unter dem Euphemismus Globalisierung sein Unwesen treibt, hat mit den Werten der Aufklärung, mit Freiheit und Würde der Menschen und Völker nichts zu tun und ist damit genauso zu bekämpfen wie jede klassisch rechte, reaktionäre, Herrschaftsstrukturen etablierende Bewegung. Abgesehen davon, daß dieser „Demokratieexport“ nie idealistische und emanzipatorische Absichten hat, sondern es immer um Schürfrechte, Ressourcen, Märkte und die Ausschaltung von Konkurrenten geht, können die Werte der Aufklärung weder gegenüber einzelnen Menschen noch gegenüber Völkern mit Zwang und Gewalt, sondern nur durch das Argument und Aufklärung der Menschen durchgesetzt werden. Die Werte der Aufklärung können nur erotisch, d.h. durch Attraktion und Anziehung, nicht durch Drängen und Stoßen verbreitet werden. Die Identitäten anderer Menschen und Kulturgemeinschaften müssen da, wo sie gewachsen sind und bestehen, respektiert werden. Das gilt auch für unsere eigene hier in Europa, die gegen jede reaktionäre, antiaufklärerische, antiemanzipatorische Bestrebung verteidigt werden muß.

Wer heute konservativ ist, verteidigt die Errungenschaften der Aufklärung, die Freiheit und Würde des Menschen gegen herrschaftliche Ansprüche neofeudaler Kräfte, die das Rad der Geschichte zurück drehen und aus den Menschen wieder unmündige Untertanen, d.h. Arbeits-, Konsum- und Steuersklaven machen wollen. Wer heute links im neulinken und grünen Verständnis ist, betreibt unter der vielleicht naiv geglaubten Forderung nach Auflösung der Nationalstaaten, Abschaffung der Grenzen und Vermischung aller Völker eine Ideologie, die die faktischen sozialen, kulturellen und gesellschaftlichen Realitäten, die doch wesentlich die Identitäten der Menschen ausmachen, ignorieren und beseitigen wollen, alle Menschen nach einer Idee formen, sie normieren und damit unterdrücken. Die neulinke Gesinnung bedient damit leider die Interessen der neofeudalen Kräfte unter einem völlig falsch verstandenen emanzipatorischen Anspruch, der wohl annimmt, daß man die Menschen zu ihrer Freiheit zwingen muß. Das ist aber in seinem Wesen eben nicht links, sondern reaktionär.

Die moderne, neu- oder grünlinke Gesinnung steht nicht mehr auf dem Fundament der Werte der Aufklärung, sondern ist eine Ideologie, die ihre eigene politische Auffassung als einzig wahre, richtige und legitime Überzeugung mit allen Mechanismen der Macht durchsetzen und Herrschaftsstrukturen etablieren will. Dabei geht es nicht nur um die politische Überzeugung, sondern die gesamte Kultur. Es ist eine totalitäre Bewegung wie für Ideologien typisch. Sie sieht eben nicht alle Menschen als moralische Adressaten an, deren maximale Freiheit man gewähren, deren Identität man schützen, die man emanzipieren und zu politisch mündigen Bürgern machen muß, sondern die einer Idee und definierten Norm zu unterwerfen und zu bekämpfen sind, wenn sie in Gesinnung, Äußerung oder Handeln davon abweichen. Sie definiert diese Norm heute als potilical correctness, organisiert eine Gesinnungspolizei in Zusammenwirkung von staatlichen Institutionen, Medien und NGOs, manipuliert, verfolgt, diffamiert Menschen und zerstört Existenzen unter dem Verdacht, daß diese eine linke, emanzipatorische und freiheitliche Ordnung ablehnen und bekämpfen würden. Dabei werden Gehirnwäschekeulen benutzt, die eine inhaltliche Auseinandersetzung und eine echte Praktizierung der offenen Diskursgesellschaft verhindern sollen, indem sie den Anderen tabuisieren und diskreditieren wie rechtspopulistisch, nationalistisch, homophob, sexistisch, fremdenfeindlich, antisemitisch, Nazi und Verschwörungstheoretiker.

Wenn man sieht, daß manche so gebrandmarkte politische Bewegungen oder Parteien in ihren Programmen die Forderung nach direkter Demokratie haben, stellt sich die Frage, wie es zusammen paßt, daß „Rechtspopulisten“ und „Nazis“ neuerdings direkte Demokratie fordern, wo es doch ihrem rechten Wesen entsprechen müßte, eine vertikale, hierarchische Ordnung herstellen zu wollen, in der die Menschen nur Untertanen sind und gar keine oder nur ganz beschränkte politische Partizipationsrechte haben. Direkte Demokratie ist die in der Logik und dem Geist der Aufklärung folgende Gesellschaftsordnung, um die Menschen weiter zu emanzipieren, mündig, politisch autonom und frei zu machen. Direkte Demokratie und das Subsidiaritätsprinzip sind die nächste Stufe der Emanzipation und bringen mehr Autonomie in die dem Menschen am nahesten stehenden Institutionen. Auf diesem Weg ist die Abschaffung des Nationalstaats in der Zukunft auch denkbar, indem seine hoheitlichen Rechte stückweise sowohl nach oben an übergeordnete Institutionen als auch nach unten an regionale Strukturen übergeben werden.

So wie die Wehrhaftigkeit einer Wertegemeinschaft gegenüber Bestrebungen von außen oder subversiven von innen voraussetzt, daß sie die Kräfte erkennt, die ihre Werte und Identität verändern, ihre Freiheit und Autonomie beschränken oder abschaffen wollen, muß sie auch erkennen, wer zur selben Wertegemeinschaft gehört und dasselbe Gesellschaftsmodell präferiert. Die Verteidigungsfähigkeit hängt entschieden davon ab, im Inneren Einheit und Entschlossenheit herzustellen, die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft an den Eigenschaften zu erkennen, die dafür wesentlich sind. Wesentlich ist die Dichotomie zwischen dem, was klassisch und traditionell rechts und links, also reaktionär und emanzipatorisch, herrschaftlich und freiheitlich ist. Um einen starken Widerstand zu organisieren, um die emanzipatorische Bewegung der Aufklärung fortzusetzen, neofeudale und reaktionäre Bestrebungen erkennen und bekämpfen zu können, muß die Spaltung innerhalb der breiten Front der klassischen Linken überwunden werden, die Spaltung zwischen sozialistischer, konservativer und libertärer Gesinnung, die doch alle eine freiheitliche Gesellschaft auf dem Fundament der Werte der Aufklärung voraussetzen. Daß diejenigen, denen die heutigen herrschaftlichen Strukturen dienen und die gerade den Krieg Reich gegen Arm weltweit führen, an einem breiten und wirksamen Widerstand, an einer erneuten Emanzipation der Menschen kein Interesse haben, ist klar. Deshalb betreiben diese reaktionären Kräfte seit Jahrzehnten aktiv Verdummung, Desinformation, Manipulation, Polarisierung und Spaltung der Menschen mit allen möglichen Machtmechanismen in Wirtschaft, Finanzwesen, Politik und Medien. Es ist heute nötig, ein neues Zeitalter der Aufklärung zu beginnen, die Menschen wieder mündig und zum politischen Subjekt ihrer Gesellschaften zu machen. Doch Aufklärung bedeutet heute die Führung des Menschen aus seiner fremdverschuldeten Unmündigkeit.



AP, 29.12.2016